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Ein Spark von Dr. Claudia Kleimann-Balke / 28.06.2023

Ins Netz gegangen – wie Netzwerke uns seit vielen Jahrhunderten verbinden

Es ist nicht immer einfach mit mir! Es reicht meist ein kleiner Anlass und schon krame ich – vielleicht gerade nicht unbedingt benötigtes – Wissen, jahrhundertealte Zitate und historische Fakten aus den hintersten Regionen meiner Gehirnwindungen ... und lasse meine Mitmenschen daran teilhaben.

Ein Leben ohne Netzwerk kann sich heute wohl niemand mehr vorstellen. Wir alle bewegen uns in einem – mal enger mal grober – gewebten Netz aus Familie und Freunden, Kollegen und Vorgesetzten, Lieferanten und Kunden, flüchtigen oder engen Bekannten und Alumnis – real und virtuell. Dabei sind wir stets bemüht, die bestehenden Verbindungen zu pflegen, zu festigen und nach Möglichkeit weiter auszubauen, um sie für uns und unsere Zwecke effektiv zu nutzen. Für uns als soziale Wesen sind Netzwerke existenziell, ob im Job, in der Freizeit oder beim ehrenamtlichen Engagement. Wir tauschen uns aus, informieren uns, teilen unser Wissen, unterstützen uns und pflegen Geschäftsbeziehungen – kurz, wir profitieren voneinander. Netzwerke sind kein Ort der Selbstdarstellung, sondern eine der klassischen Win-win-Situationen. Geben und nehmen ist die Devise. Aber seit wann gibt es diese Netzwerke? Und wann haben sie begonnen, uns einzuspinnen?

Der Begriff Netzwerk existiert in seiner heutigen Bedeutung erst seit dem 19. Jahrhundert. Bis zum 16. Jahrhundert verstand man darunter schlicht ein Geflecht. Etwas später wurde er auf die Benennung natürlicher Phänomene, wie Spinnennetze oder das Netz von Venen und Arterien ausgedehnt. Mit der Industrialisierung erlangte der Begriff zunehmend technische Bedeutung – ich denke da an Wasserstraßen und Schienenwege. Erst danach wurden auch Beziehungen zwischen Menschen als Netzwerke bezeichnet – bis die Verwendung des Begriffs Ende des 20. Jahrhundert explosionsartig und fast inflationäre Verbreitung fand.

Die Geschichte der Netzwerke ist jedoch deutlich älter als ihre Bezeichnung. Denn seit es Menschen auf der Erde gibt, streben sie danach, sich mit anderen zu verbinden und auszutauschen. Der Radius, in dem sie sich bei dieser Suche bewegten, wurde im Laufe der Jahrhunderte immer größer. Knüpfte man anfangs innerhalb der Sippe Kontakte, zogen wir nach und nach immer größere Kreise. Zum Beispiel auf der Seidenstraße, der ältesten Handelsroute der Welt. Das rund 6400 Kilometer lange Netz aus Karawanenstraßen brachte Händler, Pilger, Krieger und Nomaden zusammen. Es verband China mit dem römischen Reich und transportierte neben Luxusgütern, wie Porzellan, Seide und Gewürzen auch Ideen, Lehren und religiöse Strömungen nach Europa ­– aber leider auch die Pest, die im 14. Jahrhundert etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahinraffte.      

Netzwerke hatten einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte. Hätten beispielsweise die Drucker ihr Netz nicht über Deutschland, die Schweiz, Holland und Dänemark gesponnen, die Lehren Martin Luthers hätten sich nicht so rasch und intensiv verbreiten lassen ­­– und die Reformation wäre sicher nicht in diesem Tempo vorangeschritten. Die Gedanken der Aufklärung verteilten sich über vernetzte Gelehrte und Universitäten. So standen italienische Universitätsstädte mit Oxford, Cambridge und London, Wittenberg und Jena in Verbindung. Heute zeichnen die umfangreichen Korrespondenzen dieser Denker ein Bild dieses großen Netzwerkes – allein der Philosoph Voltaire (1694-1778) tauschte sich mit 1400 Briefpartnern aus.

Die Idee des Netzwerks ist also keine moderne Erfindung. Sie hat sich im Laufe der Jahrtausende entwickelt und verändert. Wir nutzen Netzwerke im Grunde so wie unsere Vorfahren. Wir teilen Ideen, Impulse und Erkenntnissen, handeln und helfen. In der Regel geht es heute um einiges schneller. Wie lange früher Dinge und Gedanken – selbst in gut gesponnenen Netzwerken – unterwegs waren, können wir uns kaum mehr vorstellen. Wenn Sie gleich nach Ihrer Kaffeetasse aus Porzellan greifen, denken Sie daran, dass sie auf der Route der Seidenstraße etwa zwei Jahre bis zu Ihnen unterwegs gewesen wäre.